
Taming the European Leviathan: The Legacy of Post-War Medicine and the Common Good
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Fragestellung und Ziel der Forschungsgruppe
Was ist Europa? Die Frage ist kaum zu beantworten. Die Lage und Beschaffenheit des europäischen Leviathans steht heute mehr in Frage als je zuvor. Ob in Form autoritärer Regierungen oder populistischer Agitation: Welche Rolle, welche Größe und welchen Umfang der Staat im 21. Jahrhundert haben soll, bleibt Gegenstand aufgeregter Debatten. Was können die Humanities hierzu betragen? Die Antwort knapp, aber vielversprechend: Eine eigene Geschichte Europas.
Diese kann eine Antwort darauf geben, was unsere europäische Gemeinschaft eigentlich zusammenhält: War für Thomas Hobbes einst nur der Nationalstaat in der Lage, die wilde Natur des Menschen („poor, nasty, brutish, and short“) zu zähmen, so ist es heute die gemeinsame Sorge um die Gesundheit des Einzelnen und das Wohlergehen des sozialen Gefüges.
Unser Forschungsvorhaben will eine Geschichte der Gemeinsamkeiten auf beiden Seiten des so genannten Eisernen Vorhangs entwickeln: Ein politisches wie gesellschaftliches Verständnis von Gesundheit als gemeinsamen Gut, das sich zwischen 1950 bis 1990 auf vielen Feldern artikulierte – von öffentlichen Krankenkassen, gesetzlichem Arbeitsschutz und der Sorge um die Alte und Schwache über die Etablierung eines eigenen Gesundheitsministerium bis hin zu Impfkampagnen und der öffentlichen Förderung medizinischer Forschung. Kurzum: Die Medizin bietet einen analytischen Bezugsrahmen, um eine integrierte Geschichte Europas jenseits der üblichen Klischees und Dichotomien dieser Zeit zu entwickeln. Denn der Anspruch der Biowissenschaften auf universelle Wahrheit bietet einerseits eine privilegierte Perspektive jenseits der üblichen Gegensätze von Ideologie, Wirtschaft und Politik. Andererseits aber das Feld der Medizin wie kaum ein anderer Bereich unseres modernen Lebens gesellschaftlich, politisch, wirtschaftlich, technologisch und kulturell bestimmt.
Wir wollen die beiden Hälften des Nachkriegseuropas nicht getrennt voneinander untersuchen, sondern Europa als Einheit verstehen. Weder Ökonomie noch Politik, weder Ideologie noch Alltag, sondern die Integration dieser verschiedenen Perspektiven erlaubt es, die Entwicklung des Gemeinwohls gleichermaßen im Staatssozialismus und im kapitalistischen Westen zu verfolgen.
Vier Teams – in Berlin (Volker Hess) und Hamburg (Ulf Schmidt), in Budapest bzw. Wien (Judit Sándor) und Sofia (Anelia Kassabova) – untersuchen in einem 6-jährigen Kooperationsprojekt die institutionellen, konzeptionellen und legitimatorischen Rahmen dieses europäischen Gemeinwohls.
Berliner Team
Der Schwerpunkt der Berliner Arbeitsgruppe liegt auf der Rekonstruktion der klinischen Forschung beidseits des Eisernen Vorhangs. Denn die klinische Forschung im Staatssozialismus hielt trotz eines anderen Interaktionsform zwischen Wissenschaft, Politik und Industrie im Großen und Ganzen mit der Entwicklung im kapitalistischen Westen mit. Ein besonderes Augenmerk liegt daher auf der Re-Modellierung klassischer Erklärungsmodelle über Innovation und Expertise an ausgewählten Beispielen (Arzneimittelforschung, Transplantationsmedizin).
Die Teilprojekte von "Taming the European Leviathan" an unserem Institut
Publikationen
Als eine der ersten Publikationen aus dem LEVIATHAN-Projekt ist eine Bachelorarbeit im Juli 2023 abgeschlossen worden von Karina Anni Noll zu "Bachelorarbeit „Doping und Kontrazeption. Physischer und psychischer Missbrauch bei adoleszenten Leistungssportler:innen in der DDR“.
Projektinfos
LEVIATHAN: Taming the European Leviathan: The Legacy of Post-War Medicine and the Common Ground
Förderung: ERC-Synergy Grant LEVIATHAN (Action number 854503)
zugesagte Fördersumme: 9.994.934 EUR
Laufzeit: 10/2020 - 9/2026
Corresponding Principal Investigator: Volker Hess
Kontakt

Leitung des Instituts für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin


